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Durchschnittlich lügt ein Mensch zwei Mal am Tag. Die Bandbreite reicht dabei von kleineren Notlügen etwa darüber, wie einem das Essen geschmeckt hat bis zu handfesten Lügen, wie oder mit wem man etwa seine Zeit verbracht hat.
Gründe dafür gibt es mehrere und diese kann man ganz gut einteilen in zwei davon erhoffte Ergebnisse: „Ich schütze dich!“ und „Ich schütze mich!“
Was ist damit gemeint?
Lügen, mit denen der andere geschützt werden soll, sollen meistens verhindern, die Gefühle des Gegenübers zu verletzen. „Das Kleid steht dir toll (oder auch nicht)“, „Ich würde dich gerne besuchen, aber ich habe keine Zeit.“ – diese und ähnliche Notlügen entstehen, wie der Name sagt, aus der Not heraus.
Schlicht und einfach die Wahrheit zu sagen, könnte den anderen traurig machen, sich beleidigt oder beschämt fühlen lassen. Um das zu verhindern, wird eine Lüge ausgesprochen.
Lügen, die in erster Linie mich selbst schützen sollen, betreffen häufig den eigenen Selbstwert. Flunkereien über vermeintliche eigene Makel, über (nicht) erreichte Ziele und Erfolge, aber auch über die eigenen Gefühle („nein, ich bin nicht sauer“, „das macht mir gar nichts aus“) sollen unser Bild nach außen aufrecht erhalten, unser angekratztes Selbstwertgefühl stabilisieren.
Dahinter steht aber noch viel Größeres: Lügen geschehen häufig deshalb, weil Menschen Angst davor haben, authentisch zu sein. Angst, die eigene Bedürftigkeit zu zeigen. Angst, sich so zu zeigen, wie sie sind. Aufzutauchen mit dem, was bei ihnen gerade da ist. Menschen, die häufig lügen, versuchen also permanent, ihr wahres Selbst vor anderen zu verstecken.
Viele von uns haben als Kind gelernt – überspitzt ausgedrückt - dass es gefährlich sein kann, die Wahrheit auszusprechen. Sie sind vielleicht ins Zimmer geschickt worden, weil sie etwas frei von der Leber weg gesagt haben, die Eltern waren vielleicht enttäuscht, haben geschimpft oder haben sich vorübergehend aus dem Kontakt zurückgezogen. Bedrohlich für ein Kind.
Vor kurzem war ein Klient bei mir in der Praxis, der sehr gekränkt war, weil seine Partnerin ihn mehrmals angelogen hatte zum Thema Rauchen. Sie hatte auf seinen Wunsch hin damit aufgehört, seine Fragen, ob sie gelegentlich rauche mit Nein beantwortet und schließlich hatte er ein Packerl Zigaretten in ihrer Sporttasche gefunden.
Böse, nicht wahr? Wen man genau hinsieht, hat sie versucht, sowohl sich, als auch ihren Partner – im Endeffekt aber ihre Beziehung - durch die Lüge zu schützen. „Warum sagt sie nicht einfach die Wahrheit?“ fragst du dich vielleicht.
Nun, Ehrlichkeit braucht Raum. Raum, genauso da zu sein, wie sie ist. In unserem Beispiel müsste es also möglich sein, anzusprechen, dass sie womöglich Lust auf eine Zigarette hätte, sie wahnsinnig mit dem Verlangen kämpfe, und ja, auch, dass sie geraucht habe – ohne Angst, dafür verurteilt zu werden.
Im Gegenzug wäre ihr Partner in der Position, das aushalten zu lernen. Ihr keine Vorwürfe zu machen, sondern ihre Bemühungen zu schätzen und sie nicht mit Abschätzigkeit und Liebesentzug zu strafen, wenn sie schwach wird, sondern vielleicht Unterstützung anbieten. Siehst den Unterschied?
Ist der Raum für Ehrlichkeit – auch durch das Gegenüber – nicht gegeben, kommen wir in die Zwickmühle. Gebe ich zu, dass ich geraucht habe und riskiere ich Streit und Ablehnung oder lüge ich und wahre vorerst den Frieden? Eine Lose-Lose-Situation.
Lügen sind also häufig ein Mittel, um die Beziehung zu einem anderen Menschen zu schützen.
Was tun, wenn du dahinterkommst, dass dich dein Partner, deine Kinder oder Freude anlügen?
Die Not dahinter anerkennen und das Bemühen, die Beziehung zu dir aufrechtzuerhalten. Das Gespräch suchen und vermitteln, dass dein Gegenüber sicher bei dir ist. Dass er oder sie sich zeigen darf mit allem, was dazugehört. Erklären, dass dich das mangelnde Vertrauen in dich verletzt und dass du bemüht sein wirst, die Gründe zu verstehen.
Lügen ist also etwas zutiefst Menschliches und Ehrlichkeit braucht die Bereitschaft dazu – auf beiden Seiten ;-)