Grenzüberschreitung in Beziehungen

Vor einiger Zeit habe ich mir einen Film angesehen, der wirklich schwer verdaulich ist. „Ich gehöre ihm“ beruht auf einer wahren Begebenheit und handelt von einem 15jährigen Mädchen, das von ihrer ersten großen Liebe in die Prostitution gezwungen wird. Mit Gewalt und Erpressung, aber in erster Linie mit Liebesschwüren und dem Versprechen einer gemeinsamen Zukunft.

Man sieht diesen Film und ist fassungslos und denkt sich „wie kann so etwas passieren“, aber auch „was ist hier im Elternhaus schiefgelaufen“, und obwohl ich schon aufgrund meines Berufes hier ein scharfes Auge habe, war nichts zu entdecken. Entgegen der Annahme, das Mädchen käme aus schwierigen Verhältnissen, sei ohne Liebe aufgewachsen oder die Eltern kümmerten sich nicht, war genau das Gegenteil der Fall.

Der Film ist bezüglich der Zwangsprostitution natürlich die Spitze des Eisberges, aber Gewalt in Beziehungen ist leider keine Ausnahme, und eine ungesunde Beziehung fängt zudem bereits ganz woanders an: bei jedem Überschreiten einer Grenze, bei einem ungehörten oder unbeachteten „Nein“, bei Verboten, bei gestellten Bedingungen, bei „wenn du mich liebst, dann…“

Nicht nur in der Paarbeziehung, sondern in jeder Beziehung: Die unter Liebenden, zwischen Eltern und Kind, aber auch in der Freundschaft.

Wo also ansetzen beim Versuch, die eigenen Kinder, aber auch sich selbst, vor ungesunden, übergriffigen Beziehungen zu bewahren?

Ein gesundes Selbstwertgefühl ist der Grundstein für Vieles. Die gute Beziehung zu mir selbst, das Bestreben, gut für mich zu sorgen, kann schon viel Unheil von außen verhindern. Ein gutes Selbstwertgefühl unterstützt mich dabei, Grenzen zu setzen, nein zu sagen, mich nicht unter Wert zu verkaufen, mich nicht anzubiedern im Austausch für Liebe und Anerkennung. Hilft mir, es auszuhalten, dass jemand mich verlässt, wenn ich nicht nach seiner/ihrer Pfeife tanze.

Aber auch das Bild von Liebe, das ich in mir trage, trägt dazu bei, gute Beziehungen von schlechten zu unterscheiden. In vielen Filmen oder Songtexten finden sich Passagen wie „Ohne dich bin ich nichts“, „ich würde alles für die Liebe tun“, „Liebe tut weh“. Als wäre es nur tatsächliche, richtige Liebe, wenn jemand leidet, sich aufopfert, oder schlicht nicht mehr leben kann ohne sie.

Manche fragen sich vielleicht „Warum schaut man sich so einen Film überhaupt an?“ Nun, schließlich ist das, was gezeigt wird, ein Teil unserer Realität. Nicht wenige Frauen und Männer verlieren tagtäglich ihren Stolz, ihr Geld, und leider auch ihr Leben an Menschen, die ihre Gutgläubigkeit, ihre Verliebtheit, und ihre Sehnsucht nach Zuneigung ausnutzen. Themen wie dieses ans Tageslicht zu holen, den Blick dafür zu schärfen, dass nicht jeder es gut mit uns meint, kann ein weiterer Baustein sein, uns dieses Schicksal zu ersparen.

Wenn dieser Film nur einem einzigen Menschen hilft, rechtzeitig auszusteigen, die Notbremse zu ziehen, dann hat er schon sein Ziel erreicht. Und wenn ihr, die diese Zeilen bis zum Schluss gelesen habt, auch hin und wieder hinterfragt, welche Beziehung euch gut tut und welche nicht, dann erst recht.

Die Frage, wie es zu verhindern gewesen wäre, dass das Mädchen aus dem Film in diese schier ausweglose Situation schlittert, wird mich noch ein bisschen begleiten, auch wenn es wie meistens keine eindeutige Antwort darauf geben kann. Wer „Ich gehöre ihm“ sehen möchte, er ist in der MDR Mediathek nachzusehen.

 Und ganz wichtig: wenn du merkst, dass es in deiner Beziehung Übergriffe und Grenzüberschreitungen gibt, lass dir helfen. Es ist Teil meiner Arbeit, dich genau hier zu unterstützen, zögere also nicht, dich in diesem Fall bei mir zu melden!